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Josef Herlitz, Kap. 1: Frage

  • Autorenbild: Christoph
    Christoph
  • 26. Sept. 2019
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 27. Sept. 2019

Im Juli 2013 habe ich mein Studium der Geschichte an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf mit einer Arbeit zum Thema "Glaube und Deutschland - Katholische Kirche und Nationalsozialismus am Beispiel von Josef Herlitz" abgeschlossen. Grundlage der Arbeit ist ein bis heute unveröffentlichtes Tagebuch des ehemaligen Neersener Bürgermeisters Josef Herlitz. Eine gekürzte Version der Arbeit wurde 2015 im Heimatbuch des Kreises Viersen veröffentlicht.


1. Einleitung und Fragestellung


Die Rolle der katholischen Kirche in Deutschland während der nationalsozialistischen Herrschaft von 1933 bis 1945 ist Gegenstand zahlreicher Kontroversen. Dabei wird bis heute darüber gestritten, ob die Kirche dem nationalsozialistischen Staat ablehnend und sogar als Gegner gegenüberstand[1] oder vielmehr die Politik der Staatsführung duldete und oftmals wegschaute. Auch die Meinung, dass die katholische Kirche dem Nationalsozialismus positiv gegenüberstand - die sogenannte Affinitätsthese - wird vertreten.[2] Dazwischen sind alle Schattierungen vorhanden.


Dabei hat sich eine vielfältige Begriffswelt entwickelt. Die Einen beschreiben die Rolle der katholischen Kirche mit Dissidenz, Resistenz und Selbstbehauptung. Von Opposition, Verweigerung oder sogar Widerstehen sprechen wieder Andere.[3] Oft zitiert wird der Begriff der ‚reservatio Mentalis‘, dem inneren Vorbehalt.[4]


Man kann bei der Bewertung einer Zeit, in der ein falsches Wort zur falschen Zeit, das Abhören eines ausländischen Senders oder ein harmloser Witz bereits schlimmste Konsequenzen haben konnten, auch grundsätzlich nach dem Sinn solcher starren Begrifflichkeiten fragen[5], da sie den komplizierten Lebenswirklichkeiten nur selten gerecht werden. Oftmals scheinen sich hinter den Diskussionen nicht wissenschaftliche, sondern schlichtweg weltanschauliche Differenzen zu verbergen.[6] Bereits während des Dritten Reichs stritt man in der Kirche um den richtigen Umgang mit erlebtem Unrecht. Während einige dafür eintraten, klar und offen Stellung zu nehmen, wie der Bischof von Münster Clemens August Graf von Galen in seinen berühmt gewordenen Predigten[7], plädierten andere für stille Diplomatie.[8] Auch dieser Konflikt scheint sich bis in die heutige Geschichtsschreibung fortzusetzen.


Das Tagebuch eines einzelnen engagierten Katholiken kann für die Lösung dieser Streitfragen wohl keine neuen Erkenntnisse liefern, geschweige denn dabei helfen, die Rolle der katholischen Kirche im Nationalsozialismus endgültig zu klären.


Neben der Amtskirche, den Bischöfen, Priestern und Würdenträgern darf man jedoch das Kirchenvolk, die Gläubigen, nicht vergessen. Nur wenn beide gemeinsam betrachtet werden, kann sich ein genaues Bild der katholischen Kirche im Nationalsozialismus ergeben. Victor Klemperer schrieb kurz vor Kriegsende, wenn auch in einem anderen Zusammenhang, in sein berühmt gewordenes Tagebuch: „Es kommt nicht auf die großen Sachen an, sondern auf den Alltag der Tyrannei, der vergessen wird.“[9]


Das Tagebuch von Josef Herlitz kann bei dieser Betrachtung des Alltags vielleicht helfen. Bereits im ersten Satz des Buches benennt er deutlich sein Thema: „Die Ereignisse des Tages sollen, soweit sie den kleinen Kreis eines menschlichen Daseins berühren und sich darin spiegeln, darstellend und reflektierend niedergelegt werden. Ausgangspunkt sollen römisch-katholischer Glaube und treues Deutschtum sein, letzteres treu in der Kleinarbeit des Tages, ohne Worte, mit dem Ziel: Glaube und Deutschland, nicht Glaube oder Deutschland über alles!!“[10] Es stellt sich also die Frage, ob sich die Geschichte von Kirche und NS-Staat auch im Kleinen, in der Alltagswelt der Gläubigen, nachvollziehen lässt. Besonderes Augenmerk soll dabei neben der Kirchenpolitik auch auf der Bewertung des Judenmordes, der Euthanasie und des Weltkrieges liegen. Wie stellten sich diese Geschehnisse an der katholischen Basis dar? Wurden sie wahrgenommen und wenn ja, wie wurden sie bewertet? Standen katholische Konfession und Nationalsozialismus für die Menschen im Konflikt, existierten sie nebeneinander oder ergänzten sie sich sogar?


Bei alledem darf natürlich auch die Frage nach dem Wert der Quelle nicht vergessen werden. Was verrät uns das Tagebuch von Josef Herlitz tatsächlich? Was sagt es über seinen Autor aus und mit welcher Intention wurde das Buch geschrieben? Diese Fragen möchte ich bereits im nächsten Kapitel beantworten.



[1] Georg Denzler: Widerstand ist nicht das richtige Wort - Katholische Priester, Bischöfe und Theologen im Dritten Reich, Zürich 2003, S. 209f.

[2] Michael Kißener: Das dritte Reich, Darmstadt 2005, S. 69.

[3] Theo Schwarzmüller: Hauenstein gegen Hitler. Die Geschichte einer konfessionellen Lebenswelt, Neustadt an der Weinstraße 2007, S. 15f.

[4] Theo Schwarzmüller: Hauenstein gegen Hitler. Die Geschichte einer konfessionellen Lebenswelt, Neustadt an der Weinstraße 2007, S. 107.

[5] Johannes Tuchel: Wege des Widerstands, in: Zeit Geschichte. Epochen. Menschen. Ideen, Nr.4 2009, S. 16.

[6] Michael F. Feldkamp: Mitläufer, Feiglinge, Antisemiten? Katholische Kirche und Nationalsozialismus, Augsburg 2009, S. 11.

[7] Hubert Gruber: Katholische Kirche und Nationalsozialismus 1930 - 1945 Ein Bericht in Quellen, Paderborn 2006, S. 435ff.

[8] Georg Denzler: Widerstand ist nicht das richtige Wort - Katholische Priester, Bischöfe und Theologen im Dritten Reich, Zürich 2003, S. 210f.

[9] Theo Schwarzmüller: Hauenstein gegen Hitler. Die Geschichte einer konfessionellen Lebenswelt, Neustadt an der Weinstraße 2007, S. 129.

[10] StAW Herlitz I, S. 1 (01.02.1938).

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