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Josef Herlitz, Kap. 5: Fazit

  • Autorenbild: Christoph
    Christoph
  • 26. Sept. 2019
  • 8 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 27. Sept. 2019

Im Juli 2013 habe ich mein Studium der Geschichte an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf mit einer Arbeit zum Thema "Glaube und Deutschland - Katholische Kirche und Nationalsozialismus am Beispiel von Josef Herlitz" abgeschlossen. Grundlage der Arbeit ist ein bis heute unveröffentlichtes Tagebuch des ehemaligen Neersener Bürgermeisters Josef Herlitz. Eine gekürzte Version der Arbeit wurde 2015 im Heimatbuch des Kreises Viersen veröffentlicht.


5. Fazit


Die katholische Kirche in Deutschland und der NS-Staat standen während des Dritten Reichs im Widerspruch. Nicht nur inhaltlich. Der Nationalsozialismus versuchte die ganze Gesellschaft zu durchdringen und zu erfassen, die katholische Kirche mit ihrem in Deutschland aus historischen Gründen besonders festgefügten Milieu war ihm dabei ein Dorn im Auge. Für diese Feststellung gibt es auf Seite der Nationalsozialisten mit Adolf Hitler einen prominenten Kronzeugen. „Er wusste, was im Inneren seines Reiches der absoluten Gewaltherrschaft im Wege stand. Deshalb hat er über das christliche Milieu gesagt: ‚Der größte Krebsschaden sind die Pfarrer beider Konfessionen! Ich kann Ihnen jetzt [im Krieg] die Antwort nicht geben, aber das kommt in mein großes Notizbuch. Es wird der Moment kommen, wo ich mit ihnen abrechne ohne langes Federlesen.‘ Und: ‚Der Krieg wird ein Ende nehmen, und ich werde meine letzte Lebensaufgabe darin sehen, das Kirchenproblem noch zu klären. Erst dann wird die deutsche Nation ganz gesichert sein.‘“[1]


Nach dem Ende des Krieges war sich auch die deutsche Öffentlichkeit nahezu einig: „Wenn es eine gesellschaftliche Großgruppe gegeben habe, die relativ unbeschadet und unter Bewahrung ihrer spezifischen Weltanschauung das Dritte Reich überdauert hatte, dann waren dies ganz ohne Frage die katholische Kirche und die „bekennende Kirche“ innerhalb des Protestantismus gewesen.“[2] Die katholische Kirche hatte in ihren Augen den Gleichschaltungsdruck des Regimes überdauert.[3] In der Tat konnte die Kirche „… auf eine ebenso beklemmende wie stolze Leidens- und Opferbilanz verweisen, die sie mit dem Reichskonkordat unstreitig hatte verhindern wollen. 8021 Geistliche, die Hälfte aller Priester, wurden von Zwangsmaßnahmen getroffen. 418 Priester kamen ins KZ, wo 110 von ihnen starben. Weitere 59 Geistliche wurden hingerichtet oder ermordet.“[4]


Die Art und Weise jedoch, wie die katholische Amtskirche mit dieser offensichtlichen Gegnerschaft umgegangen ist, ist bis heute umstritten. Das war sie schon während der NS-Herrschaft. Entscheidend war dabei die Überlegung, ob öffentlicher Protest der kirchlichen Stellen eine Verbesserung oder eine Verschlimmerung der Lage bewirken würde.[5] Auf der einen Seite standen Geistliche wie der Kapuzinerpater Ingbert Naab, der schrieb: „Jetzt müssen die Hirten der Kirche reden, unterstützt vom obersten Hirten der Kirche, auch wenn dies den Verlust irdischer Güter, Gefängnis und selbst das Martyrium zur Folge haben sollte.“[6], auf der anderen der Papst der es den Bischöfen überlies, abzuwägen ob es besser sei, um größere Übel zu verhindern, Zurückhaltung zu üben und sich deshalb auch selbst in seinen Äußerungen beschränkte.[7] Bei diesen Überlegungen ging es im Wesentlichen um die Verteidigung der kirchlichen Organisation, der kirchlichen Bekenntnisse und auch um die Verteidigung von Recht und Menschlichkeit.[8] Zu einem Sturz des Regimes und offener Gegnerschaft sah sich die Kirche jedoch weder berufen noch berechtigt,[9] obwohl sie in der Lage war dem nationalsozialistischen Herrschaftsanspruch Grenzen zu setzen.[10]


Beispielhaft zeigt sich dies am Beispiel des Münsteraner Bischofs Clemens August Graf von Galen. Seine Predigten zeigten den großen Einfluss, über die die Kirche im Falle öffentlichen Protestes verfügte. Viele andere Beispiele zeigen jedoch, dass dies im kleineren Rahmen nicht ebenso funktionieren musste.[11] Und schließlich appellierte auch von Galen, in seiner Predigt vom 20. Juli 1941, [12] an die Gläubigen, loyale Staatsbürger zu bleiben. „Ihnen konnte Galen keine Aussichten auf eine rasche Wende eröffnen, sondern sie nur ermutigen, auszuharren: ‚Hart werden! Fest bleiben! Wir sind in diesem Augenblick nicht Hammer, sondern Amboß… Der Amboß kann und braucht auch nicht zurückschlagen, er muß nur fest, nur hart sein. Wenn er hinreichend zäh, fest, hart ist, dann hält meistens der Amboß länger als der Hammer.‘“[13]


Auch an der katholischen Basis spürten zwar viele den Gegensatz zwischen Christentum und NS-Ideologie jedoch standen oftmals andere Themen und Probleme im Vordergrund. Das religiöse Bekenntnis war zwar immer noch wichtig, aber es war längst nicht mehr die einzige prägende Kraft im Leben der Menschen. So konnten Nationalsozialismus und katholische Kirche auch für die meisten Gläubigen ohne weiteres nebeneinander existieren. „Der Gang zur Kirche und das Hissen der Fahne der braunen Machthaber, katholische Heirat und die Bereitschaft zur ‚nationalen Verteidigung‘ schlossen sich im Bewußtsein der Katholiken keineswegs aus. Weder waren die Mitglieder der NSDAP mehrheitlich Antichristlich, noch verstanden sich jene Katholiken, die nicht der Partei angehörten, als Hitlergegner. Nicht Gegensätze, sondern scheinbar verquere Gemengelagen bestimmten das Bild an der Basis des katholischen Milieus…“[14]


Für Josef Herlitz hatten der katholische Glauben und die Instanzen der Kirche eine besondere Bedeutung, mehr noch als für die meisten seiner Zeitgenossen. Und dennoch gab es auch für ihn noch andere Dinge, die seine Gedanken bestimmten. Der Weltkrieg und sein Ausgang nahmen dabei eine zentrale Position ein. Bei allem Unrecht, das er auch teilweise erkannte, war er stolz auf die Leistungen der Wehrmacht und besorgt wegen einer möglichen Niederlage. Ein Dilemma, ähnlich dem über das auch national gesinnte Widerständler schrieben: „‚Es ist kein Zweifel‘, hat Ulrich v. Hassel im Oktober 1940 notiert, ‚daß, wenn dieses System siegt, Deutschland und Europa fürchterlichen Zeiten entgegengehen. Bringt es aber Deutschland die Niederlage, so sind die Folgen erst recht nicht auszudenken.‘“[15] Auch die, die die Verbrechen der Nationalsozialisten nicht sahen oder nicht sehen wollten, werden zumindest dem zweiten Punkt zugestimmt haben. Da annähernd jeder Verwandte, Bekannte und Freunde in der Wehrmacht hatte, waren die Folgen einer Niederlage für den einzelnen tatsächlich nicht abzusehen. Josef Herlitz bringt seine persönliche Einstellung dazu bereits im Januar 1942 zu Papier: „Unbestreitbar ist die Tatsache, daß das häufige Abhören ausländischer Sender die Dinge verschlimmert. Unter diesen Umständen wagen sich alle, die man in offizieller Redeweise als „Meckerer“ bezeichnet, offener und dreister ans Tageslicht. Sie finden einen fruchtbaren Boden, ohne zu bedenken, daß ein ungünstiger Kriegsausgang für Deutschland und für alle Deutschen nicht nur ein politischer Untergang bedeutet.“[16] Zwar bemängelt er im selben Eintrag auch den fortgesetzten Kampf gegen die Kirche und „…dass der christliche Soldat draußen alles einsetzt und man alles herunterreißt, was ihm unantastbar ist“[17], aber er meint auch: „Eine Opposition dagegen ist nur in Gedanken möglich.“[18]


In Anbetracht der Überpräsenz des Krieges traten die Probleme zwischen Kirche und Staat zwangsläufig in den Hintergrund. Der Unterdrückungsapparat der Nationalsozialisten dürfte ein Übriges dazu getan haben, Kritik daran zu unterdrücken. Schließlich musste, wer „…sich auch nur abfällig äußerte oder später, im Krieg, einen ‚Feindsender‘ abhörte und aussprach, dass er am Endsieg zweifelte, … mit dem Schlimmsten rechnen, mit Verhaftung, Verhör, Folter, Überweisung ins Konzentrationslager, wenn nicht gar mit Hinrichtung. Und niemand konnte sich in Sicherheit wiegen: Wer ‚zersetzend‘ daherredete, wurde vielleicht von seinem Arbeitskollegen und Hausnachbarn angezeigt und geriet dann ins Mahlwerk der Verfolgung.“[19]


Vor diesem Hintergrund bedeutete es schon einiges, wenn man kritische Distanz zu den Nationalsozialisten hielt, auch wenn es Nachteile im Beruf mit sich brachte[20], wenn man niemanden denunzierte, auch wenn man sich über „Meckerer“ aufregte[21], und wenn man seine eigenen Gedanken zum Weltgeschehen und zum Kriegsende[22] in einem Tagebuch niederschrieb.


Zwar änderte sich dadurch nichts an der Situation der Kirche und auch nichts am staatlichen Unrecht, jedoch wurde so ein Grundbestand an innerer Unabhängigkeit erhalten, der für den Neuanfang nach der Diktatur wichtig war.

Eine ‚Grundanständigkeit‘ auf die so auch die Verschwörer des 20. Juli 1944 setzten. So war sich Carl-Friedrich Gördeler sicher: „Demgegenüber erscheint die Geduld des Volkes unerklärlich. Aber diese Perversität beruht nur auf der Tatsache, daß Terror Geheimhaltung, Lüge und Verbrechen schützt. Die Perversität schwindet sofort, wenn das Volk sieht, daß dem Terror zu Leibe gerückt, der Korruption Vernichtung angesagt und an der Stelle des Geheimnisses und der Lüge Offenheit und Wahrheit gesetzt werden. In derselben Stunde wird jeder Deutsche wieder zurechtgerückt, der Anständige wie der Unanständige, jeder wird die Handlung, die er gestern noch, weil sie heimlich bleibt, ungehindert vornahm oder unbeanstandet ließ, heute ablehnen und verurteilen, weil jener Anstand, dieser Verantwortung vor sich stehen sieht.“[23] Zwar spekulieren auch heute noch viele Historiker darüber, ob durch ein erfolgreiches Attentat auf Hitler nicht eine neue Dolchstoßlegende entstanden wäre[24], Goerdeler war sich jedoch sicher, „…daß ein Aufschrei der Empörung durch die Öffentlichkeit gehen werde, sobald ihm und seinen Freunden ‚nur vierundzwanzig Stunden lang‘ die Mikrophone zur Verfügung stünden und die Wahrheit über die Verbrechen des Regimes ungehindert verbreitet werden dürfe..“[25]. Goerdeler und der Widerstand setzten dabei in erster Linie auf Menschen wie Josef Herlitz, die sich ihre Werte erhalten hatten.


Wenn auch wenn die Rolle der katholische Kirche im Hinblick auf den Holocaust und die Bewertung des Weltkrieges weiterhin umstritten bleibt, kann man doch festhalten, dass katholisches Milieu und christlicher Glaube der völligen Gleichschaltung des gesellschaftlichen Lebens entgegenstanden und so den Erhalt einer inneren Einstellung begünstigten, die für den demokratischen Neubeginn nach 1945 nötig war.


Man muss dies alleine nicht für eine historische Leistung halten[26], da es sicherlich nicht bewusst angestrebt wurde. Vielmehr ging es der Amtskirche in erster Linie darum, ihre Strukturen zu erhalten. Die Leistung liegt vielmehr darin, dass sich die katholische Kirche „…von keinem ihrer Priester oder Laien distanziert [hat], der wegen aktiven Widerstands verurteilt und hingerichtet wurde, und … niemals den aktiven Widerstand gegen Hitler in einer ihrer Verlautbarungen verurteilt [hat].“[27] Dies ermöglichte es nicht nur den Männern und Frauen des aktiven Widerstands gegen Hitler als Katholiken aus persönlichem Entschluss weiter zugehen, als die Kirche ihnen befahl[28], sondern sorgte im Kleinen dafür der Hoffnung auf einen echten Neuanfang einen Nährboden zu geben.



[1] Christian Graf von Krockow: Eine Frage der Ehre. Stauffenberg und das Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944, Berlin 2002, S. 164.

[2] Michael Kißener: Das dritte Reich, Darmstadt 2005, S. 67.

[3] Michael F. Feldkamp: Mitläufer, Feiglinge, Antisemiten? Katholische Kirche und Nationalsozialismus, Augsburg 2009, S. 183.

[4] Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Vierter Band: Vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1914-1949, München 2003, S. 817.

[5] Georg Denzler: Widerstand ist nicht das richtige Wort - Katholische Priester, Bischöfe und Theologen im Dritten Reich, Zürich 2003, S. 210f.

[6] Georg Denzler: Widerstand ist nicht das richtige Wort - Katholische Priester, Bischöfe und Theologen im Dritten Reich, Zürich 2003, S. 228.

[7] Georg Denzler: Widerstand ist nicht das richtige Wort - Katholische Priester, Bischöfe und Theologen im Dritten Reich, Zürich 2003, S. 211f.

[8] Günther van Norden: Widerstand in den Kirchen, in: Richard Löwenthal, Patrik von zur Mühlen (Hrsg.): Widerstand und Verweigerung in Deutschland 1933 bis 1945, Bonn 1990, S. 114ff.

[9] Heinz Kürten: Katholische Kirche und Widerstand, in Peter Steinbach, Johannes Tuchel (Hrsg): Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Bonn 1994, S.183.

[10] Georg Denzler: Widerstand ist nicht das richtige Wort - Katholische Priester, Bischöfe und Theologen im Dritten Reich, Zürich 2003, S. 209f.

[11] Michael Rotthoff: Anrath, Neersen, Schiefbahn und Willich 1933 – 1945, in: Willicher Kulturstiftung der Sparkasse Krefeld (Hrsg.): Stadtgeschichte Willich, Willich 2003, S. 606.

[12] Georg Denzler: Widerstand ist nicht das richtige Wort - Katholische Priester, Bischöfe und Theologen im Dritten Reich, Zürich 2003, S. 439ff.

[13] Heinz Kürten: Katholische Kirche und Widerstand, in Peter Steinbach, Johannes Tuchel (Hrsg): Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Bonn 1994, S.190.

[14] Georg Denzler: Widerstand ist nicht das richtige Wort - Katholische Priester, Bischöfe und Theologen im Dritten Reich, Zürich 2003, S. 209.

[15] Joachim Fest: Staatsstreich – Der lange Weg zum 20. Juli, München 1997. S.328

[16] StAW Herlitz I, S. 39 (18.01.1942).

[17] StAW Herlitz I, S. 39 (18.01.1942).

[18] StAW Herlitz I, S. 39 (18.01.1942).

[19] Christian Graf von Krockow: Eine Frage der Ehre. Stauffenberg und das Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944, Berlin 2002, S. 12.

[20] StAW Herlitz I, S. 41f (29.07.1942).

[21] StAW Herlitz I, S. 39 (18.01.1942).

[22] StAW Herlitz I, S. 40 (29.07.1942).

[23] Carl-Friedrich Goerdeler: Brief an General Olbricht vom 17. Mai 1943, in Christoph Studt: Das Dritte Reich. Ein Lesebuch zur deutschen Geschichte 1933-1945, München 1995, S. 266.

[24] Ian Kershaw: Hitler wäre zum Märtyrer geworden, Interview in: Zeit Geschichte. Epochen. Menschen. Ideen, Nr.4/2009, S.29.

[25] Joachim Fest: Staatsstreich. Der lange Weg zum 20. Juli, München 1997, S. 345f.

[26] Vgl. Theo Schwarzmüller: Hauenstein gegen Hitler. Die Geschichte einer konfessionellen Lebenswelt, Neustadt an der Weinstraße 2007, S. 158.

[27] Heinz Kürten: Katholische Kirche und Widerstand, in Peter Steinbach, Johannes Tuchel (Hrsg): Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Bonn 1994, S. 191f.

[28] Heinz Kürten: Katholische Kirche und Widerstand, in Peter Steinbach, Johannes Tuchel (Hrsg): Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Bonn 1994, S. 191f.

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