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Josef Herlitz, Kap. 2: Tagebuch

  • Autorenbild: Christoph
    Christoph
  • 26. Sept. 2019
  • 7 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 27. Sept. 2019

Im Juli 2013 habe ich mein Studium der Geschichte an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf mit einer Arbeit zum Thema "Glaube und Deutschland - Katholische Kirche und Nationalsozialismus am Beispiel von Josef Herlitz" abgeschlossen. Grundlage der Arbeit ist ein bis heute unveröffentlichtes Tagebuch des ehemaligen Neersener Bürgermeisters Josef Herlitz. Eine gekürzte Version der Arbeit wurde 2015 im Heimatbuch des Kreises Viersen veröffentlicht.


2. Josef Herlitz und sein Tagebuch


In Zeiten großer gesellschaftlicher Umbrüche, während Krisen und Kriegen, Revolutionen und Katastrophen, beginnen Menschen verstärkt, Tagebücher zu schreiben.[1] Besonders aber „…unter dem Eindruck von zeitlich sich überstürzenden Ereignissen, …in Momenten, in denen sich gewohnte Verhältnisse abrupt änderten…“[2] und so auch das Privatleben beeinflussten, wurden im 20. Jahrhundert Tagebücher geführt. Sie dienten dabei „… als Rechenschaftsform, als Erinnerungsstütze, als Reflexionsform oder als Kommunikationsmittel mit sich selbst.“[3]


Auch das Tagebuch von Josef Herlitz, das er in den Jahren von 1938 bis 1946 schrieb, scheint aus einem solchen Antrieb in einer krisenhaften Zeit entstanden zu sein. Der zunehmende Konflikt zwischen nationalsozialistischem Staat und katholischer Kirche scheint dafür der Grund gewesen zu sein. Konkreter Anlass für den Beginn des Tagebuchs war offenbar das Verbot des katholischen Jungmännervereins.[4] Mit dem Weltkrieg, dessen Verlauf das Tagebuch in seiner ganzen Länge abdeckt, kam eine weitere grundlegende Motivation hinzu. Als die beiden Krisensituationen enden, endet relativ bald - im Jahr 1946 - auch das Tagebuch.


Wer aber war Josef Herlitz, den die Willicher Stadtgeschichte als einen aufmerksamen Beobachter der Zeit und seiner Mitmenschen[5] beschreibt und der „…tiefe Einblicke in die Realität des Dritten Reiches in einem kleinen Dorf am Niederrhein erlaubt“[6]? Weshalb war die Kirchenpolitik der Nationalsozialisten für Josef Herlitz so wichtig, dass er anfing, Tagebuch zu führen?


Josef Herlitz wurde am 14. Februar 1897 in Rheydt, heute ein Teil der Stadt Mönchengladbach, geboren. Zum Zeitpunkt seiner Tagebuchaufzeichnungen war er also ein Mann in den Vierzigern. Bereits seit über 20 Jahren, genauer seit 1916, lebte er in Neersen, wo er an der Katholischen Volksschule unterrichtete. Neersen, heute ein Teil der Stadt Willich, liegt an der Niers in unmittelbarer Nachbarschaft zur Stadt Mönchengladbach. Die Menschen und ihre Wesens- und Lebensart müssen Josef Herlitz aus seiner eigenen Heimat bekannt gewesen sein. Kein Wunder also, dass er sich dort schnell integrierte. Ab 1924 engagierte er sich politisch im Zentrum, bis 1933 saß er für die Partei im Neersener Gemeinderat. Die aktive Mitgliedschaft in einer sogenannten ‚Systempartei‘ war eine Tatsache, die ihn später in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft verdächtig machte, seine intensiven Bemühungen um die Aufrechterhaltung des katholischen Religionsunterrichts an der Neersener Volksschule eine andere. Beide sorgten dafür, dass er im Dritten Reich unter ständiger Beobachtung der Behörden stand.[7]


Die Neersener Volksschule, an der er unterrichtete, war, bis sie 1939 ihren konfessionellen Charakter verlor, eine katholische Schule. Wie auch die Schulen im Neersens Nachbargemeinden. Wie überall wurde auch an den Schulen im Gebiet der heutigen Stadt Willich versucht, die Lehrerkollegien mit jungen, weltanschaulich geschulten, nationalsozialistischen Pädagogen zu durchmischen. Dennoch blieb das Regime in der Regel auf die bereits vorhandenen Lehrer angewiesen - aufgrund des Aufbaus der Wehrmacht wurden die Studentenzahlen verringert. Der Druck, der auf die alteingesessenen Lehrer, mit Hinweis auf das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, ausgeübt wurde, verfehlte seine Wirkung jedoch trotzdem nicht: Die meisten Lehrer richteten sich auf das neue Regime ein.[8] Josef Herlitz offenbar nicht. Welche Züge dies konkret annahm (selbst im offenbar sehr kleinen Neersener Lehrerkollegium), macht ein Eintrag in Josef Herlitz Tagebuch vom 29. Juli 1942 deutlich: „Im vorigen Jahr war ich 25 Jahre Lehrer und 25 Jahre am Ort; Notiz davon nahmen 1 Postbote, die Frau des Metzgers, meine Angehörigen und der Schulrat Herr Dr. Loos. Bei der Überreichung des Treuedienstzeichens gratulierte weder der Schulleiter noch die Kollegin. In der Zeit etwa erhielt ich wieder eine Vorladung des Ortsgruppenleiters. Die Anklage - festgestellt durch Verhör meiner Schüler, durch Rektor und Ortsgruppenleiter - behauptete: 1. Ich habe die Kinder gezwungen, das Aschenkreuz zu nehmen 2. ich dränge unzulässig auf den Besuch der Seelsorgestunden - Das Ganze die richtige Untermalung meiner 25-jährigen Tätigkeit!“[9] Den Nationalsozialisten war Herlitz auch generell verdächtig: Nach dem Attentat vom 20. Juli 1944 gehörte er zu den Vertretern der ehemaligen politischen Parteien, die in einer der ersten Verhaftungswellen festgesetzt wurden. Jedoch wurde er schon am nächsten Tag, dem 25. August 1944 wieder aus der Haft entlassen.[10]


Es ist also nicht schwer zu erahnen, weshalb die Situation im Dritten Reich dem überzeugten Katholiken Herlitz als besonders krisenhaft erschienen sein muss. In einer Zeit, in der der Beruf des Lehrers hoch geachtet war, stand Herlitz, auch wenn die Willicher Stadtgeschichte mit den Schiefbahnern Hubert Becker und Johannes Maria Giesen noch zwei weitere Volksschullehrer nennt, die sich aus christlicher Überzeugung dem Druck der Nationalsozialisten nicht beugen wollten[11], plötzlich im Abseits. In dieser Situation beginnt er sein Tagebuch zu schreiben.


Zwar versteht man unter einem Tagebuch üblicherweise „…täglich niedergeschriebene, chronologisch gereihte Aufzeichnungen“[12], jedoch muss es, wie im Fall von Josef Herlitz, „…deshalb nicht zwangsläufig ‚von Tag zu Tag‘ verfasst werden, sondern vor allem im regelmäßigen Abständen.“[13] So besitzt diese Textsorte eine so große Vielfalt, aufgrund derer die Forschung noch keine allgemein anerkannte Typologie hervorgebracht hat.[14] Jedoch sollte vor allem „…das schubweise Wachstum, also die narrative Struktur … nachweisbar sein…“.[15] Über die genaue Form des Tagebuchs entscheidet letztlich das Anliegen des Tagebuchschreibers.[16]


Josef Herlitz schrieb, schon von Anfang an, nur unregelmäßig in sein Tagebuch. Teilweise liegen Monate zwischen den Einträgen, die oftmals nur kurzen Notizen gleichen. Dabei liegt bei seinen Berichten der Fokus meist auf kirchlichen Ereignissen und der nationalsozialistischen Kirchenpolitik. Jedoch kann er sich auch den Auswirkungen des Krieges, die im Laufe der Zeit immer näher kommen, nicht entziehen. Sie finden zunehmend mehr Raum in seinen Aufzeichnungen. Tagebücher erzählen „…stets unmittelbar von Erlebtem, Gedachtem oder Gefühltem“[17], so eben auch bei Josef Herlitz. Je mehr die alltäglichen Probleme zunehmen, umso mehr rücken diese auch im Tagebuch in den Vordergrund.


Das Tagebuch ist somit eine zutiefst subjektive Quelle. In aller Regel selektiert der Tagebuchschreiber „…alleine nach seinem Empfinden Wichtiges und Unwichtiges, und konstruiert somit eine eigene Wirklichkeit.“[18]


Deshalb ist es wichtig zu hinterfragen, aus welchen Quellen die Informationen von Josef Herlitz stammen. Schrieb er „…in seinem Tagebuch aus eigener Beobachtung, aus eigener Reflexion oder vom Hörensagen aus bestimmten selbst wieder spezifisch gefärbten Medien…“?[19] In der Tat zeigt sich in den Aufzeichnungen von Josef Herlitz eine sehr breite Auswahl von Informationsquellen. Er bezieht sich an einigen Stellen explizit auf Zeitungsartikel[20], an anderen auf Gerüchte („In unruhigen Zeiten reitet Frau Fama durch das Land.“)[21]. Auch über Ereignisse in Berlin und auf den Kriegsschauplätzen erzählt er natürlich nicht aus eigenem Erleben, er wird von ihnen vielmehr - vielfach politisch gefärbt - durch den Rundfunk, Zeitungen oder durch Gespräche („Urlauber erzählen von grausigen Dingen.“)[22] erfahren haben. Jedoch hat er sie mit seinen eigenen Kommentaren versehen. Die Berichte über das Leben in seinem Heimatort Neersen, die in dieser Arbeit besonders im Fokus stehen, entstanden zudem ganz offensichtlich aus eigenen Beobachtungen.


Auch hier entsteht die Frage ob Josef Herlitz diese Einträge nur für sich selber verfasst hat. „Ursprünglich ist ein Tagebuch eine Textsorte ohne Veröffentlichungsabsicht, …als Rechenschaftsform, als Erinnerungsstütze, als Reflexionsform oder als Kommunikationsmittel mit sich selbst.“[23] Im Fall von Josef Herlitz muss man dies gleich in doppelter Hinsicht hinterfragen. Zum einen kann es sich bei einem Tagebuch, das - wie bereits dargelegt - in einer Krisensituation entstand, auch um eine Rechtfertigungsschrift handeln.[24] Dies würde bedeuten, dass es mit einer Veröffentlichungsabsicht verfasst wurde. Jedoch: „Ein Tagebuch mit Veröffentlichungsabsicht unterliegt … mit größerer Wahrscheinlichkeit einer Verfälschung als ein Tagebuch ohne Veröffentlichungsabsicht.“[25] Zum anderen bestand in diesem besonderen Fall, Josef Herlitz befand sich schließlich im Visier der Behörden, die Gefahr, dass die Notizen irgendwann gegen ihren Autor hätten verwendet werden können. Beide Befürchtungen sind meines Erachtens nicht stichhaltig. Hätte er Angst vor den Behörden gehabt, hätte Josef Herlitz sicherlich gar kein Tagebuch geschrieben. Zudem lassen einige Einträge, etwa zum Judenmord oder zur Aktion T4, nicht den Schluss zu, er hätte etwas verheimlichen wollen. Auch eine Rechtfertigungsschrift ist wenig wahrscheinlich. Zum einen wurde das Tagebuch auch nach dem Krieg nicht veröffentlicht, zum anderen war es in seinem Heimatort ohnehin bekannt, dass Josef Herlitz dem Nationalsozialismus grundsätzlich ablehnend gegenübergestanden hatte.

Dies zeigt sich unter anderem darin, dass er nach Kriegsende von der britischen Militärregierung in den Verwaltungsbeirat und in den ersten Neersener Gemeinderat berufen wurde. Vom 18. November 1948 bis zum 21. Oktober 1958 amtierte Josef Herlitz zudem als Bürgermeister der Gemeinde Neersen. Bis zu seinem Wegzug aus Neersen im Jahr 1966 blieb er als Mitglied der Christlichen Wählergemeinschaft (CWG) Mitglied des Gemeinderats. Am 29. Oktober 1962 erhielt er das Bundesverdienstkreuz. Er starb am 17. Juli 1968 im Alter von 71 Jahren. In der Stadt Willich wird ihm mit einer Straße im Neersener Wohngebiet Bengdbruch, die seinen Namen trägt, gedacht.[26]



[1] Peter Hüttenberger: Tagebücher. In: Bernd-A. Rusinek, Volker Ackermann, Jörg Engelbrecht (Hrsg.): Einführung in die Interpretation historischer Quellen – Schwerpunkt: Neuzeit, Paderborn 1992, S. 28.

[2] Peter Hüttenberger: Tagebücher. In: Bernd-A. Rusinek, Volker Ackermann, Jörg Engelbrecht (Hrsg.): Einführung in die Interpretation historischer Quellen – Schwerpunkt: Neuzeit, Paderborn 1992, S. 28.

[3] Nicole Nette: Das Tagebuch als historische Quelle im Geschichtsunterricht, München 2005, S. 6.

[4] StAW Herlitz I, S. 1 (01.02.1938).

[5] Michael Rotthoff: Anrath, Neersen, Schiefbahn und Willich 1933 – 1945, in: Willicher Kulturstiftung der Sparkasse Krefeld (Hrsg.): Stadtgeschichte Willich, Willich 2003, S. 610.

[6] s.o.

[7] Michael Rotthoff: Anrath, Neersen, Schiefbahn und Willich 1933 – 1945, in: Willicher Kulturstiftung der Sparkasse Krefeld (Hrsg.): Stadtgeschichte Willich, Willich 2003, S. 610.

[8] Michael Rotthoff: Anrath, Neersen, Schiefbahn und Willich 1933 – 1945, in: Willicher Kulturstiftung der Sparkasse Krefeld (Hrsg.): Stadtgeschichte Willich, Willich 2003, S. 609.

[9] StAW Herlitz I, S. 41f (29.07.1942).

[10] Michael Rotthoff: Anrath, Neersen, Schiefbahn und Willich 1933 – 1945, in: Willicher Kulturstiftung der Sparkasse Krefeld (Hrsg.): Stadtgeschichte Willich, Willich 2003, S. 611.

[11] Michael Rotthoff: Anrath, Neersen, Schiefbahn und Willich 1933 – 1945, in: Willicher Kulturstiftung der Sparkasse Krefeld (Hrsg.): Stadtgeschichte Willich, Willich 2003, S. 609.

[12] Peter Hüttenberger: Tagebücher. In: Bernd-A. Rusinek, Volker Ackermann, Jörg Engelbrecht (Hrsg.): Einführung in die Interpretation historischer Quellen – Schwerpunkt: Neuzeit, Paderborn 1992, S. 27.

[13] Nicole Nette: Das Tagebuch als historische Quelle im Geschichtsunterricht, München 2005, S. 4.

[14] Nicole Nette: Das Tagebuch als historische Quelle im Geschichtsunterricht, München 2005, S. 1.

[15] Nicole Nette: Das Tagebuch als historische Quelle im Geschichtsunterricht, München 2005, S. 12.

[16] Rüdiger Görner: Das Tagebuch, München 1986, S. 11.

[17] Nicole Nette: Das Tagebuch als historische Quelle im Geschichtsunterricht, München 2005, S. 3.

[18] Nicole Nette: Das Tagebuch als historische Quelle im Geschichtsunterricht, München 2005, S. 5.

[19] Peter Hüttenberger: Tagebücher. In: Bernd-A. Rusinek, Volker Ackermann, Jörg Engelbrecht (Hrsg.): Einführung in die Interpretation historischer Quellen – Schwerpunkt: Neuzeit, Paderborn 1992, S. 31f.

[20] StAW Herlitz I, S. 5 (06.03.1938).

[21] StAW Herlitz I, S. 30 (08.02.1941).

[22] StAW Herlitz I, S. 38 (01.11.1941).

[23] Nicole Nette: Das Tagebuch als historische Quelle im Geschichtsunterricht, München 2005, S. 6.

[24] Peter Hüttenberger: Tagebücher. In: Bernd-A. Rusinek, Volker Ackermann, Jörg Engelbrecht (Hrsg.): Einführung in die Interpretation historischer Quellen – Schwerpunkt: Neuzeit, Paderborn 1992, S. 29.

[25] Nicole Nette: Das Tagebuch als historische Quelle im Geschichtsunterricht, München 2005, S. 11.

[26] Michael Rotthoff: Anrath, Neersen, Schiefbahn und Willich 1933 – 1945, in: Willicher Kulturstiftung der Sparkasse Krefeld (Hrsg.): Stadtgeschichte Willich, Willich 2003, S. 611.

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